Lebende Legenden: Hurley Haywood, Hans-Joachim Stuck und Walter Röhrl (v. li.) zeigten unter der Regie von Brumos Racing aus Jacksonville im US-Bundesstaat Florida Flagge für Porsche
Problematischer Einstand des 911 turbo 3,6 GT America bei den 24 Stunden von Daytona 1994: Defekte im Antrieb des Flachgebläses bremsten die berühmte Startnummer 59 ein
Mit den Sponsor-Logos eines Strickwaren-Herstellers: Deutliche Parallelen zu Jürgen Barths "Boss"-Beschriftungen im Le Mans der frühen achtziger Jahre, 1993 ging es zurück an die Sarthe
Erinnerungen an den 934/5. Nicht nur die äußere Form wirkte wie ein direkter Nachfahre der 1977er Gruppe-5-Version, beim Motor handelte es sich tatsächlich um eine Weiterentwicklung
Aufbruchstimmung im Februar 1993: Walter Röhrl bei den Frühjahrs-Testfahrten mit dem Porsche 911 turbo S LM (Le Mans) GT im südfranzösischen Le Castellet (Paul Ricard)
Das Kleinserienmodell 911 turbo S war auch Grundlage zweier Entwicklungsträger für den späteren 911 GT2 der Baureihe 993
Prolog: Europa-Premiere des Porsche 911 turbo S LM (Le Mans) GT bei den Frühjahrs-Testfahrten im südfranzösischen Le Castellet (Paul Ricard) m Februar 1993
Der Porsche-Sportpressechef Jürgen Pippig überraschte im Februar 1993 mit einer Aussendung. Darin waren Schwarz-Weiß-Aufnahmen eines Einzelstücks enthalten, das speziell für die 12 Stunden von Sebring und die 24 Stunden von Le Mans 1993 entstehen durfte. Walter Röhrl saß am Lenkrad des neuen Porsche-Typs 911 turbo S LM-GT mit zwölf Zoll breiten Hinterrädern, Frontspoiler-Lippe und einem Heckflügel in den Ausmaßen des 935 turbo. "Und der hört sich auch fast genauso an!", erzählte Jürgen Pippig auf telefonische Nachfrage, "wenn der auf der langen Geraden seine Drehzahl aufnimmt und man die Augen schließt, klingt es wie damals!" Der Ex-Journalist musste es wissen – bevor er zu Porsche in die Stabsabteilung Sportpresse wechselte, berichtete er jahrelang für die Zeitschrift "Sportfahrer" von den Schauplätzen der legendären Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft, kurz DRM. Den Klang der "Geilen Zeit" hatte er sich eingeprägt, im Februar 1993 fand er ihn wieder. Das kam nicht von ungefähr, denn das Motorenkonzept war in letzter Konsequenz vom 1976er 934 turbo adaptiert worden. 1984 kehrte der zum damaligen Zeitpunkt acht Jahre alte Zweiventil-Einzellader des Typs 930/75 als Antriebskraft des Porsche 962 auf die großen Bühnen zurück. Die interne Kennung dieses Motors lautete nun 962/71. Der ersten Ausführung mit 2,86 Litern folgte 1985 die 3.164 ccm große Evolution. Sie leistete 720 PS bei 7.300/min und 1,4 bar Ladedruck. Der luftgekühlte Boxer verfügte über eine vollelektronisch gesteuerte Zündung und Benzin-Einspritzung. Gegenüber dem wassergekühlten Vierventil-Doppelladermotor aus dem 956 der Gruppe C war er weniger verbrauchsgünstig. Das spielte im IMSA-Reglement aber keine Rolle. 1993 zogen die Weissacher Renningenieure den Motortyp 962/71 aus der US-amerikanischen IMSA-Serie für den 911 turbo S LM-GT heran. Anstelle des monströsen KKK-Einzelladers des Typs K34 kamen zur Verbesserung der Fahrbarkeit zwei kleinere KKK-Turbolader zum Einsatz. Ein großer Ladeluftkühler, sechs Drosselklappen, ein vertikal angeordnetes Lüfterrad, zwei jeweils 32 Millimeter große Luftmengen-Begrenzer, sprich: Air Restrictoren, und bis zu 0,9 bar Ladedruck ergaben bei 3,2 Litern Hubraum eine Nennleistung von 505 PS.
Dieser Wert hätte ungedrosselt – bei uneingeschränkter Verfügbarkeit der Ansaugluft – leicht übertroffen werden können. Das technische Reglement bremste den inoffiziellen Nachfolger des Porsche 934/5 gleich dreifach ein. Zum einen beschnitten die per Sportgesetz vorgeschriebene Luftmengen-Begrenzung und der Verzicht auf die Doppelzündung – nach offizieller Lesart handelte es sich um einen 911 turbo II 3,3 – die Ausbeute des 3.164 ccm großen Sechszylinder-Boxers, zum anderen waren die Auflageflächen der maximal zwölf Zoll breiten Reifen an der Hinterachse nicht einmal der gedrosselten Motorleistung angemessen. Bei den 24 Stunden von Le Mans sollte dieses Hemmnis aufgrund der Streckencharakteristik mit ihren langen Vollgas-Passagen jedoch kaum ins Gewicht fallen. Das Umfeld des Doppelturbos: ein reinrassiger Spezial-Grand-Tourisme-Rennwagen mit Uniball-Lagerung, Bremsen – ohne Bremskraftverstärker oder ABS – aus dem 962er, Kunststoff-Verglasung sowie nicht tragenden Karosserieteilen aus Kohlefaser-verstärktem Verbundmaterial. Der große belgische Chronist Paul Frère, am 23. Februar 2008 im Alter von 91 Jahren verstorben, gab seine Fahreindrücke wie folgt wieder: (Original-Auszug aus "Paul Frère - Die Porsche 911 Story", Seite 329, Erstauflage 2002 im Motorbuch Verlag, Stuttgart, erschienen): "Anlässlich der Versuchsfahrten auf der Paul-Ricard-Strecke im Februar 1993 wurde ich von Porsche eingeladen, den 911 turbo S LM-GT zur Probe zu fahren. Das Handling, die Bremsen und die Fahrleistungen waren recht eindrucksvoll. Im Vergleich zu den Porsche 935, die ich Ende der siebziger Jahre in Weissach gefahren hatte, war das Handling deutlich besser, dessen Grenzen jedoch klar von der ungenügenden Auflagefläche der 12 Zoll breiten Reifen definiert, während die Fahrleistungen wegen der Drosselung des Motors auf etwas niedrigerem Niveau lagen als beim 935." Die Rennpremiere des 911 turbo S LM-GT fand am 20. März 1993 bei den 12 Stunden von Sebring/USA (Camel 12 Hours of Sebring) statt. In den traditionellen Farben von Brumos Racing erreichten Walter Röhrl, Hans-Joachim Stuck und Hurley Haywood den siebten Gesamtrang und den ersten Platz in der GT-Einladungsklasse.
1994 übernahm der französische Privatrennstall Larbre Compétition den einzigen existierenden 911 turbo S LM-GT, um ihn in der soeben erst installierten GT-BPR-Serie einzusetzen. Nach einem zweiten Platz bei den 24 Stunden von Daytona 1994 verbuchte die Equipe um Jack Leconte Triumphe in jedem der vier Rennen, an denen sie sich mit dem Ex-Werkswagen beteiligte. So gewannen Jean-Pierre Jarier, Jesus Pareja und Bob Wollek am 6. März 1994 das Vier-Stunden-Rennen von Paul Ricard. Ein Motorwechsel eilte all diesen Erfolgen voraus. Der neue 3,6-Liter-Boxer basierte bereits auf der kommenden Triebwerksgeneration des 993. Geschickt unterzogen die Porsche-Weisen ihre Komponenten einer Langzeiterprobung, unter anderem bei den 1.000 Kilometern von Suzuka. Auch in Japan ging das Larbre-Dreigestirn Jean-Pierre Jarier/Jesus Pareja/Bob Wollek als Sieger hervor. Nicht ganz so erfolgreich verlief der Einsatz des 911 turbo 3,6 GT America in den Vereinigten Staaten. Das Schwesterfahrzeug des 911 turbo S LM-GT erhielt das Horizontalgebläse, welches zuletzt den IMSA-Motortyp 962/71 mit Kühlluft versorgt hatte. Das in liegender Position über dem Motor angeordnete Lüfterrad blieb praktisch unsichtbar. Es verschwand unter einem flächigen Ladeluftkühler, der sich über die gesamte Breite des Motorraums erstreckte. In ähnlicher Konfiguration beteiligte sich der norddeutsche Privatfahrer Jürgen Oppermann am Veedol-Langstreckenpokal Nürburgring 1989. Er bezog seine IMSA-Treibsätze in der Kundensport-Abteilung des Werks und ließ sie in zwei 935-dp-II-Karossen von Ekkehard Zimmermann installieren. Das Resultat: Oppermann gewann sieben von zehn Rennen der Saison 1989. Fünf Jahre später musste der 911 turbo 3,6 GT America zumindest äußerlich stärker der Serie entsprechen. Gegenüber dem 1993er 911 turbo S LM-GT durften die Kotflügel nochmals verbreitert werden, die aerodynamische Gesamtauslegung konnte vom Vorjahresmodell übernommen werden. Bei den 24 Stunden von Daytona 1994 traten Hans-Joachim "Strietzel" Stuck, Walter Röhrl und die US-Rennlegende Hurley Haywood unter der Regie von Brumos Racing aus Jacksonville im US-Bundesstaat Florida an. Ihrer Favoritenrolle wurden sie nicht gerecht. Es kam zu Defekten im Antrieb des flachen Kühlgebläses, und so lag es einmal mehr am älteren Larbre-Exemplar aus Frankreich, die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Im Februar 1995 gab bei den vier Stunden von Jerez de la Frontera die Rennausführung des 911 GT2, der GT2 R, seinen Einstand. Der Erbe des 911 turbo S LM-GT und des 911 turbo 3,6 GT America kam ohne ein Horizontalgebläse aus. Mit seiner Einführung endete die Halbwertzeit der beiden 964er-Ableger, die unerlässliche Entwicklungsträger auf dem Weg zur letzten luftgekühlten Leistungsversion des Porsche 911 (Modellhistorie des 911 GT2 in PORSCHE SCENE 02/2012) gewesen waren.
Nachzulesen in PORSCHE SCENE 03/2012 – seit dem 10. Februar 2012 im Zeitschriftenhandel!
Von: Carsten Krome | Fotos: Historisches Archiv Porsche AG, Carsten Krome
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