Allradantrieb im Porsche 911

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

1997er Porsche 911 (993) biturbo, Foto: Carsten Krome, Gut Diepensiepen, 9. Januar 2009

PORSCHE SCENE Insights

1997er 911 (993) biturbo – im Januar 1984 tritt Porsche mit einer 4x4-Version des 911 erstmals an die Öffentlichkeit

Der werksintern unter der Ziffer 953 bekannte Allrad-Elfer basiert auf dem Carrera 3,2 und gewinnt mit René Metge und Dominique Lemoyne auf Anhieb die Rallye Paris-Dakar. 959 und 964 Carrera 4 folgen, der 965 hingegen wird 1988 kurz vor Erreichen der Serienreife gestoppt. Es sollte der erste Großserien-Elfer mit zwei Turboladern und Allradantrieb werden. Normalkunden können den 964 turbo ausschließlich mit K-Jetronic und Monoturbo ordern, ehe ihnen ab 1995 der 993 biturbo neue Dimensionen eröffnet. Die Gene des 959 schaffen ein 212.000 D-Mark teures Erfolgsmodell, dessen 408 PS und 540 Newtonmeter auf vier angetriebene Räder verteilt werden. Spurtreue und geringer Schadstoffausstoß sind die neue Leitmaxime. Der 993 biturbo vollendet die Wandlung vom wilden Hund zum Business Express. Im Januar 2009 haben wir anlässlich des 25-jährigen Allrad-Jubiläums ein Prachtexemplar mit in den Schnee genommen.

Freitag, 9. Januar 2009, Gut Diepensiepen bei Ratingen. Die ältesten Nachrichten über den Hof unweit der Landeshauptstadt Düsseldorf gehen auf das 14. Jahrhundert zurück. Als Wintersportregion ist die Gegend nicht bekannt. Dennoch geht es hier und heute in den Schnee, der ausgiebig gefallen ist in den letzten Tagen. Nachts ist das Quecksilber unter 15 Grad minus gefallen. Zur Tagesmitte, bei Sonnenschein, hält es sich in Gefrierpunktnähe. Der Beschluss, eben diese Verhältnisse abzuwarten, um einen 993 biturbo ins rechte Licht zu setzen, ist vor Monaten gefallen. Und das aus gutem Grund. Denn der Porsche, um den es geht, ist genauso weiß wie der Schnee, der im Rheinland selten fällt und noch seltener liegenbleibt. Am zweiten Freitag im neuen Jahr ist es soweit: Treffen mit Carola und Roland Heidl. Für sie ist es ein Heimspiel. Den 993 biturbo haben sie sauber herausgeputzt, aber nicht auf Winterreifen umbestückt. Roland Heidl kommentiert trocken, so als sei es eine Selbstverständlichkeit: "Der hat doch Allradantrieb!" 4x4 im 911er – das richtige Stichwort an diesem 9. Januar 2009. Auf den Tag genau vor 25 Jahren setzt Porsche erstmals offiziell auf zwei angetriebene Achsen – bei der Rallye Paris-Dakar 1984.

Ein Vierteljahrhundert liegt zwischen diesem (sport-)historischen Ereignis und dem Allad-Shooting auf Schnee. Es ist ein guter Anlass, die Ereignisse noch einmal aufzurollen. Am 21. Januar 1983 erhält Diplom-Ingenieur Manfred Bantle von Porsche-Technik- und Entwicklungschef Helmuth Bott den Auftrag, die Studie eines Supersportwagens zu erstellen. Es geht um einen Alleskönner: Den aktuellen Stand des technisch Machbaren soll er demonstrieren, dem sportlichen Reglement des Automobil-Weltverbandes FIA entsprechen, im Gelände und auf Rundstrecken siegen, gleichzeitig aber auch für den Betrieb auf öffentlichen Straßen zugelassen werden können. Was wie die Quadratur des Kreises anmutet, bewältigt Bantle in einer knappen Woche. Als Jungingenieur hat er am Rennsportwagen 908/3 mitgearbeitet, der zehn Jahre nach dem ersten Einsatz noch eine Marken-Weltmeisterschaft gewinnt. Für seine Studie zieht Bantle das FIA-Reglement der Gruppe B heran. Es ist 1982 eingeführt worden und Sportwagen gewidmet, von denen innerhalb zwölf Monaten mindestens 200 produziert werden. Mit fest definierten Stückzahlen soll vermieden werden, dass Prototypen in den Wettbewerb eingreifen und diesen überrennen.

Da Porsche ernsthaft einen Einstieg in die Gruppe B in Erwägung zieht, sollen die 200 Serienfahrzeuge so umfassend wie möglich ausgestattet werden. Allradantrieb ist ein unbedingtes Muss. Der Porsche-Technik- und Entwicklungschef Bott begründet die Abkehr vom für Porsche prägenden Heckantrieb so: "Wir müssen vier Faktoren zur Übereinstimmung bringen, und zwar die jeweils beste Lösung für eine überlegene Straßenlage, perfektes Handling, sicheren Geradeauslauf und nicht zuletzt die optimale Kraftverteilung an alle vier Räder." Zur IAA 1983 in Frankfurt ist die Studie namens "Gruppe B" präsentationsreif. Nach dem zweiten Messeauftritt im Rahmen der Motor Show Essen 1983 wird entschieden, das Projekt unter der Bezeichnung 959 zu verwirklichen. Sporteinsätze begleiten den unerwartet langen Weg bis zur Auslieferung der ersten Kundenexemplare. Neben vielen anderen Finessen, über die anlässlich des 25. Jubiläums noch die Rede sein wird, gilt dem Allradantrieb besonderes Augenmerk.

Motiviert durch den Langstrecken-Weltmeister Jacky Ickx und mit Rothmans-Sponsorgeldern unterstützt, nehmen im Januar 1984 drei auf Allradantrieb umgerüstete Carrera 3,2 an der Rallye Paris-Dakar teil. Die werksintern "953" getauften 4x4-Elfer schlagen sich prächtig. René Metge und Dominique Lemoyne gewinnen, Jacky Ickx erreicht nach einem Kurzschluss und anschließender Aufholjagd – seit Le Mans 1977 Spezialität des Belgiers – den sechsten Rang. Zwölf Monate später dürfen die Saugmotor-Prototypen die 959-Karosserieform übernehmen, fallen jedoch aus. Erst 1986 ist der vollständige 959-Produktionsstand für die Rallye Paris-Dakar freigegeben. René Metge und Jacky Ickx belegen die Plätze eins und zwei. Renningenieur Roland Kussmaul – heute 65-jährig und in den (Un-)Ruhestand verabschiedet – kommt im dritten 959 auf Rang fünf. Damit ist die eingangs gestellte Vorgabe, der neue Supersportwagen müsse im Gelände siegfähig sein, erfüllt. Dies verdankt der erste Serien-Porsche mit Allradantrieb einer variablen Drehmomentverteilung zwischen Vorder- und Hinterachse. Dies wird beibehalten, als der "961" wenige Monate später auf der Rundstrecke seinen Einstand gibt. Bei den 24 Stunden von Le Mans 1986 fahren Dakar-Sieger René Metge und Claude Ballot-Lena ohne vorherigen Langstreckentest auf den siebten Gesamtrang.

Von dieser Stunde an ist jede weitere Legitimation unter Wettbewerbs-Bedingungen überflüssig. Noch bevor er endgültig in Serie geht, hat der 959 im Gelände und im Rundstrecken-Rennsport überzeugt. Ende 1988 stellt Porsche als logische Konsequenz den 964 Carrera 4 vor. Dessen Kraftübertragung ist eine Weiterentwicklung des 4x4-Systems, das sich im 953 bei der Rallye Paris-Dakar 1984 bewährt hat. Das Planeten-Differenzial im vorderen Teil des Fünfgang-Getriebes ist mit den Vorderachs- und Hinterachsdifferenzialen verbunden. Das anfallende Drehmoment wird zu 69 Prozent nach hinten übertragen und zu 31 Prozent nach vorn. Ein anderer Porsche-Typ, der 965, ist Ende 1988 schon fast produktionsreif, als Helmuth Botts Nachfolger Dr. Ulrich Bez ihn zurückstellt. Die Begründung: Porsche befürchtet, mit dem modernsten Serien-turbo aller Zeiten 200.000 D-Mark Verkaufspreis zu übertreffen. Die Autowelt wird um eine Innovation geprellt, die nicht nur den integrierten Heckspoiler vom 959 übernehmen soll. Auch der Biturbo-Motor mit 360 PS soll sich stark an der High-Tech-Ikone der achtziger Jahre orientieren.

Doch die Zeit ist noch nicht reif für zwei Turbolader und zwei angetriebene Achsen. Die Fortschritte dieser Jahre sieht Porsche als Verpflichtung zur strategisch geplanten Zurückhaltung. Was sich 1986 in Le Mans im 961 bewährt, wird erst neun Jahre später für Normalkunden freigegeben. Als beim Genfer Automobilsalon 1995 der 993 biturbo offiziell vorgestellt wird, übertrifft er zwar die einst gefürchtete Preisschwelle von 200.000 D-Mark um sechs Prozent. Dennoch werden 5.978 Einheiten gebaut und verkauft. Zwei Jahrzehnte nach dem 930 turbo hat sich der 911er mit Aufladung neu positioniert. Passend zum Preisgefüge, will – und muss – er künftig als Business Express angesehen werden. Imagebildung über den Motorsport gilt von diesem Zeitpunkt an als schädlich und wird eisern unterbunden. Zehn Jahre nach 959 und 953 ist das Allradkonzept vereinfacht worden. Es wiegt nur noch halb so viel wie das ursprüngliche 4x4-System und ist kostengünstiger herzustellen. Am vorderen Ende des Sechsgang-Schaltgetriebes im 993 biturbo sitzt eine vom Öldruck gesteuerte Visco-Kupplung, die die Drehmomentverteilung zwischen den Achsen regelt. Im Fahrbetrieb bleibt eine übersteuernde Tendenz erhalten. Im Grunde genommen verhält sich der 408-PS-Porsche wie ein Hecktriebler, jedoch mit progressiveren Reaktionen auf Richtungs- und Lastwechsel.

Das dient der Fahrsicherheit und darüber reden Zuffenhausener Marketing-Strategen gern. Sie stellen auch eine andere Maxime heraus. Denn den Technologieträger zeichnet trotz aller Macht und Kraft ein außerordentlich geringer Schadstoffaustoß aus. Das passt in die Zeit. Porsche empfindet sich als ein intelligentes Unternehmen, das die sturen Kraftmeier von gestern nicht mehr bauen will. Damit wären wir zurückgekehrt an den Ausgangspunkt unserer Geschichte, zurück am winterlichen Gut Diepensiepen, zurück bei Carola und Roland Heidl. Von einer Leistungssteigerung haben die Betreiber der Düsseldorfer Porsche-Fachwerkstatt abgesehen. Eine Jahreswartung reichte völlig aus bei diesem 1997 erstzugelassenen Exemplar, das 33.000 Kilometer zurücklegte und als neuwertig angesehen werden kann. Wohlplatzierte Schönheitskorrekturen beschränken sich auf ein einstellbares Bilstein-Sportfahrwerk "B16 PSS9", BBS-"Le Mans"-Räder und die Frontspoilerlippe eines 993 turbo S. Die Ziffer 930 im Kennzeichen: eine (Zitat) "Hommage an die Mutter aller Porsche turbo".

Im Wageninneren erwartet die Passagiere großzügig eingesetztes Rot. Was bei der Neuwagenbestellung von entsprechend gefärbtem Leder unberücksichtigt blieb, haben Carola und Roland Heidl nachgeholt – es wäre müßig, der exakten Beschreibung in den TECH-FACTS vorzugreifen. Festzuhalten ist aber, dass der Blick zum Dachhimmel eine ununterbrochene Fläche offenbart. Nirgendwo ist ein Ausschnitt zu sehen. "Eine seltene Ausführung ohne Schiebedach", stellt Roland Heidl fest, "wir haben – so gut es ging, den Originalzustand beibehalten." Über die dynamische Drehmomentverteilung weiß er zu berichten: "Die Durchleitung der Antriebskraft von der einen Achse zur anderen setzt voraus, dass sich eine auf festem, griffigem Untergrund befindet, während die ABS-Sensoren der anderen Achse Schlupf melden." Heidls Fazit: "Das ist schon durchdacht!" Eine dynamische Regelung zeichnet sich bereits nach der Rallye Paris-Dakar 1984 ab. Zurück aus der Wüste, wird der 953 auf festen Belägen getestet. Es stellt sich heraus, dass 31 Prozent Antriebskraft an der Vorderachse für ein sportliches Fahrverhalten zuviel sind. Der Rest ergibt sich aus Ingenieurskunst, dem Faktor Zeit und dem Prüffeld Motorsport.

Dem 993 biturbo folgen zwei wassergekühlte 911er mit Aufladung, von denen einer demnächst runden Geburtstag feiern wird. Die Serie der Jubiläen reißt nicht ab. Und wer weiß – vielleicht nehmen wir wieder ein (Pracht-)Exemplar mit in ungewohntes Gelände. Carola und Roland Heidl sind unbeschadet in ihre Düsseldorfer Heimat zurückgekehrt – trotz Sommerreifen.

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Von: Carsten Krome

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