Heft in die Hand genommen

Im Mai 1979 lockte ein süddeutsches Fachblatt mit der Schlagzeile: "Super-Porsche. Von der Piste auf die Straße". Im Brennpunkt: das Kölner Brüderpaar Erwin und Manfred Kremer. Mit ihrem 935 K3 und Klaus Ludwig am Volant führten sie die Deutsche Automobil-Rennsportmeisterschaft nach Belieben an. "Gruppe 5 street" tauften beide das Fan-Produkt für zahlungskräftige Schlachtenbummler. Einer von ihnen: der heute 75-jährige Peter Klein. Er nahm das frisch gedruckte Heft in die Hand, bat seine damalige Ehegattin um Rat und handelte. Den Flachschnauzer besitzt er nach wie vor, perfekt gepflegt und mit erst 56.000 Kilometern Laufleistung.

"Der weiße Wirbelwind". So titelte eine Story, die 1979 Männerträume weckte. In einem süddeutschen Fachblatt erschienen, beschrieb sie eine seinerzeit bahnbrechende Arbeit des Kölner Brüderpaars Erwin und Manfred Kremer. Sie hatten ihren 935 K3 aus der Deutschen Automobil-Rennsportmeisterschaft für den Straßenverkehr zivilisiert. "Gruppe 5 street" tauften sie die im Vergleich zur Wettbewerbs-Version etwas weniger aggressiv wirkende Flunder. Das auffälligste Merkmal: die flache Schnauze. Beide Lampenhörner fielen ihr zum Opfer. Statt dessen lagen zwei vom Opel Kadett übernommene Rundscheinwerfer hinter Abdeckungen aus Plexiglas auf Höhe der Radnaben. 1976 hatte das Porsche-Werksteam diesen Ansatz in der Marken-Weltmeisterschaft durchgesetzt und so die Position des Vorreiters bezogen. Die Schwaben argumentierten gegenüber der FIA, dass die Kotflügel in ihrer Form freigestellt seien. Weil beim 911 Lampenhörner aus Tradition Bestandteil der vorderen Kotflügel waren, gab ihnen der Motorsport-Weltverband Recht.

Ekkehard Zimmermann war es, der im Kremer-Auftrag eine Straßenversion des 935 turbo entwarf. 30.000 D-Mark, damals eine gehörige Menge Geld, steckte der Designer in Prüf- und Musterverfahren. Als Erster erhielt Zimmermann im Umkehrschluss die offizielle Erlaubnis, Kunststoffteile für Flachschnauzer-Porsche herzustellen. Erwin Kremer charakterisierte ihn als "Mann mit einer goldenen Hand, dem präzise Arbeit und Asthetik über sämtliche materiellen Dinge gehen!" Worte, die Peter Klein regelrecht in sich aufgesogen haben muss. Der Dachdecker-Meister aus dem Eifelstädtchen Kall war begeistert, als er im Mai 1979 den Fahrbericht über den Kremer-Porsche entdeckte. Sofort erzählte er seiner damaligen Ehegattin davon, präsentierte ihr die Titelseite des Magazins. Beide Kremer-Athleten waren darauf zu sehen. Auf die Frage, welcher ihr denn nun besser gefiele, deutete sie auf das straßenzugelassene Gefährt. Die Konsequenz: ein umgerüsteter 930 turbo 3,3 mit annähernd 400 PS. Kein Einzelfall, wie Erwin Kremer seinerzeit offenbarte: "Insgesamt entstanden rund 30 Gruppe 5 street. Wir waren in der Lage, innerhalb vier bis sechs Wochen neue Exemplare zu fertigen."

Ältere Basisfahrzeuge lehnte Kremer mit markiger Begründung ab: "Wir rüsten nur Autos jüngeren Baudatums auf unseren Rennlook um. Um Wildwuchs zu vermeiden, geben wir auch keine Teile für den Eigenbau ab, sondern nehmen grundsätzlich alle Karosseriearbeiten in unserer Werkstatt vor. So ist gewährleistet, dass nicht plötzlich Sportwagen mit diesem Kit durch die Gegend fahren, in denen unter der Karosserie schon die Radieschen wachsen." Die Exklusivität hatte freilich ihren Preis. Etwa 12.000 D-Mark einschließlich komplett neuer Lackierung waren 1979 allein für den Karosserie-Umbau zu zahlen. Wer einen leistungsstarken Motor wählte, musste noch mehr Geld in die Hand nehmen und gehörte zwangsläufig zu einer Minderheit. 1982 veräußerte Peter Klein seinen Kremer-930 turbo 3,3 nach Bayern, wo rund 300.000 Kilometer Laufleistung einen klaren Qualitätsbeweis ergaben. In dieselbe Kerbe schlug der inzwischen 75-Jährige mit seinem nächsten Projekt, das 1984 entstand. Es galt, ein fabrikneues Carrera-3,2-Liter-Cabriolet zum Kremer-Flachschnauzer zu adeln!

Der Handwerker im Ruhestand erinnert sich: "Ich übernahm den Porsche im Werk und brachte ihn auf direktem Weg zu Kremer in die Robert-Perthel-Straße nach Köln-Bilderstöckchen!" Was damals Formen annahm, wirkt nach wie vor aus dem Ei gepellt. Und das 26 Jahre später! "Der Saugmotor ist noch kein einziges Mal gewaschen worden", dokumentiert der Weißhaarige, "der dunkelblaue Verdeckstoff wurde noch nie ausgetauscht. Lediglich neu lackiert haben wir vor acht Jahren, quasi als werterhaltende Maßnahme". Seitdem bescheinigt ein Wertgutachten 60.000 Euro Wiederbeschaffungskosten. Für Peter Klein ist dies auf eine strikt eingehaltene Strategie zurückzuführen: "Wer über sehr lange Zeit Freude an einem Porsche haben will, sollte möglichst Erstbesitzer sein, denselben Betrieb mit der Wartung beauftragen und natürlich keine Schäden haben". Klar - eingeschränkte Nutzung schadet genausowenig. Im vorliegenden Fall sollen es 56.000 Kilometer sein, die das Cabriolet ab 1984 absolviert hat. Darauf schwört der Eigentümer und rechnet vor: "Nachdem ich einige Zeit in Köln verbracht hatte, zog es mich 1986 in die Eifel zurück. Von dort bis zum Nürburgring waren es doch nur 40 Kilometer".

Auf dem berühmten Rundkurs beschied er sich mit Ehrenrunden. Bereits in den Achtzigern ging ihm auf, ein zeitgeschichtliches Dokument zu besitzen. Heute verklärt er: "Selbst Nikolaus Kremer, Manfreds und Erwins Vater, wirkte bei meinem Flachschnauzer mit." Zum Maßnahmenplan gehörten die Installation eines zusätzlichen turbo-Ölkühlers, eine Tieferlegung um 20 Millimeter sowie Fuchs-Schmiedefelgen (8J x 15 vorn und 11J x 15 hinten). Yokohama löste Pirelli als Reifenlieferanten ab. Montierte Größen: 225/50-15 vorn, 285/40-15 hinten. "Ich erwarte jetzt erst den dritten Satz überhaupt", bemerkt Peter Klein, "mehr ist nicht verbraucht worden". Kaum zu glauben, aber wahr. Erwin Kremer nickte beim Interviewtermin am 1. April 2006 wie zur Bestätigung: "Wirklich ein mustergültiges Exemplar. Ich kann mich noch an zwei Vorstände aus dem Werk erinnern. Sie sahen sich unseren "Gruppe 5 street" ganz interessiert an. Später erschien dann die "Porsche-Exklusive"-Version mit Flachbau-Kotflügeln aus Stahlblech. Bestimmt nur ein Zufall, aber doch ein bemerkenswerter!" Damit ist die Überleitung zu Leo Eupen geschaffen. Er brachte eine Art Schwesterfahrzeug mit, allerdings ein Coupé mit älterer Frontpartie. Bei ihm sind die Scheinwerfer unterhalb des nach wie vor vorhandenen Stoßfängers angebracht.

Wie bezeichnend, dass Peter Klein und Leo Eupen derselben Generation angehören. "Ich bin Jahrgang 1929", stellt der Goldwarenhändler augenzwinkernd fest. "Das Fahrzeug besitze ich seit 27 Jahren. Ich übernahm es von einem wohlbestallten Kunden, dem in Köln ein knappes Dutzend Friseurläden gehörte." Auch die Triebwerke entsprechen einander: 3.200 ccm große Sauger. Der feine Unterschied: Während das Cabriolet über einen Katalysator verfügt, muss das Coupé ohne Abgasreinigung auskommen. Die - teure - Konsequenz: 850 Euro Steuern per anno! "Da melde ich ihn doch lieber im Oktober ab und nehme das Fahrrad!", witzelt der Domstädter. Ob es jemals dazu kommen wird, sei dahingestellt. Wer sich vor mehr als zwei Jahrzehnten einen solchen Porsche leistete, war von einem gewissen Selbstverständnis geprägt. Menschen eben, die das Heft in die Hand genommen haben. Und das nicht nur im Mai 1979, als zwei schneeweiße Flachschnauzer von der Titelseite eines süddeutschen Magazins grüßten.

Von: Carsten Krome

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