Fallbeispiel: Aufbau gemäß FIA-Homologation 3025 (Replika)
Zu den Mythen in der Entwicklungsgeschichte des Porsche 911 gehören zweifelsohne die Rallye- und Rennversionen der frühen siebziger Jahre. Die 1970er 911 ST 2,2 oder 2,3 faszinieren vier Jahrzehnte nach ihrem ersten Auftauchen genauso wie die 1972 aufgelegten 911 S 2,5. Die Stückzahlen blieben jeweils ein- oder höchstens zweistellig, was den Marktwert echter Originalfahrzeuge seit der Jahrtausendwende in ungeahnte Sphären schießen ließ. Doch zum Glück ist es bei historischen Veranstaltungen unserer Tage gestattet, Serienfahrzeuge aus der damaligen Zeit "periodenspezifisch" nachzubauen. Das zur betreffenden Epoche gültige FIA-Reglement muss eingehalten werden. Und weil Porsche bei den ST- und S-Versionen mehr als großzügig mit Leichtbau-Maßnahmen umging, besteht 40 Jahre später fast schon zuviel Handlungsspielraum. Das erkannten auch zwei Bochumer. Aus einem 1970 in die Vereinigten Staaten exportierten 911 T ließen sie eine ST-Rekreation entstehen. Obwohl größtmögliche Nähe zum Original oberstes Leitmotiv war, blieben extremere Ausbau-Optionen ungenutzt. Türen und Motorhaube aus Aluminium hätten verbaut werden können, sofern verfügbar. Doch das für die FIA-Gruppe 4 anno 1970 festgelegte Mindestgewicht ließ sich ohne sie erzielen. Und so setzte sich – irgendwie typisch für die Region an Rhein und Ruhr – Pragmatismus durch. Der Ausstrahlung des im Herzen der Kulturhauptstadt Europas fotografierten Replikats tat dieser Verzicht keinen Abbruch.
Von der B-Serie an war der 911 für sportliche Anwendungen besser geeignet. Vor allem sein verlängerter Radstand und die günstigere Gewichtsverteilung beeinflussten das Fahrverhalten positiv. Darüber hinaus war es erlaubt, die hinteren Radkästen jeweils um fünf Zentimeter nach außen zu ziehen, um maximal neun Zoll breite Felgen zu montieren. 1970 nahm Porsche die Einladung des Automobil-Weltsportverbands FIA an und legte sieben 911 ST 2,2 und 2,3 für Rallye- und Renneinsätze auf. Mit dem 230 PS starken 911 ST 2,3 fuhren der Schwede Björn Waldegaard und dessen Copilot Lars Helmer am 24. Januar 1970 als Sieger der Rallye Monte Carlo über die Zielrampe. Der dritte Porsche-Doppelerfolg im Fürstentum in ununterbrochener Folge war gleichzeitig der Grundstein für den Gewinn der Rallye-Weltmeisterschaft 1970. Kernaspekt des ST, einer vom 911 S abgeleiteten FIA-Gruppe-4-Version (Spezial-GT-Fahrzeuge): 840 Kilogramm Homologationsgewicht – 180 Kilogramm weniger als beim 911 S in Serienausführung (1.020 Kilo). Vordere Haube an Gummi-Fangbändern, beide Kotflügel und vorderer Stoßfänger bestanden aus Kunststoff, die Seiten- und Heckfenster aus leichtem Plexiglas, die Windschutzscheibe aus Dünnglas, Türen und Motorhaube aus Aluminium. Dem 911 S entsprach noch die Bodengruppe, abgesehen vom Verzicht auf den Unterbodenschutz. Die Rohbau-Karosserien der ST wiesen dünnere Blechstärken auf. Welches Leergewicht tatsächlich realisierbar war, demonstrierte der auf 2,4 Liter Hubraum gebrachte 911 S 2,4 "Tour de France" (Chassisnummer 911 030 949), der 1970 ein einziges Mal entstand und auf der Waage mit 789 Kilogramm einen Rekord aufstellte. Bei der Rundfahrt quer durch Frankreich ließ das Reglement reinrassige Rennwagen zu. Werksfahrer Gérard Larrousse versprach den Mechanikern für jedes einzelne Kilogramm unterhalb der 800-Kilo-Marke eine Kiste Champagner – und musste elf Kisten aufbieten.
In Sachen Motorgewicht bestanden neue Voraussetzungen. Seit dem Modelljahr 1970 verwendete Porsche bei den Gehäuseteilen des Motortyps 911/02 eine Magnesium-Legierung. Dieses Konstruktionsprinzip blieb bei den Wettbewerbs-Aggregaten bestehen, die grundsätzlich bis 2.500 ccm Hubraum vergrößert werden durften. Die Richtlinien der FIA-Gruppe 4 sahen dies vor, zumal von Haus aus bereits 2.195 ccm anlagen und der 911 S dadurch in die Kategorie zwischen 2.001 und 2.499 ccm fiel. Porsche löste diese Option zunächst nicht ein, der 911 S 2,5 mit seinen 270 PS erschien erst zum Modelljahr 1972 in einer Auflage von 21 Stück. Titan-Pleuelstangen ließen die sparsamen Schwaben ebensowenig für die FIA-Gruppe 4 homologieren. Vielmehr erhielten polierte und auf Risse untersuchte Stahlpleuel den Vorzug. Deren Gewicht betrug 727 Gramm, im gesamten Triebwerk durfte zwischen den einzelnen Pleuelstangen eine Gewichtsdifferenz von drei Gramm nicht überschritten werden. Porsche bevorzugte eine Doppelzündanlage mit zwei Spulen und zwei Unterbrechern, deren Prinzip sich seit 1966 im Typ 906 (Carrera 6) bewährte. Spezielle Zylinderköpfe waren nicht erforderlich, nur eine zweite Zündkerzenbohrung musste eingeschnitten werden. Die Ventile (46 Millimeter an der Einlassseite, 40 Millimeter an der Auslassseite) entstammten der Serienfertigung. Da sie im Durchmesser um jeweils einen Millimeter größer waren als beim Carrera 6, ergab sich in Verbindung mit den Nockenwellen jenes Prototypen ein annähernd gleicher Füllungsgrad des 2,2-Liter-Motors. Das kleinere 225-Millimeter-Kühlgebläse und eine mechanische Bosch-Kraftstoff-Einspritzung mit geänderter Einstellung und angepasstem Raumnocken steckten den groben technischen Rahmen ab. Da das Ansaugsystem in der Gruppe 4 freigestellt war, konnte bei gleicher Motorleistung alternativ mit Weber-Dreifach-Vergasern gefahren werden.
Die Rennkolben, die das Verdichtungsverhältnis auf 10,3 : 1 anhoben, waren ausschließlich mit Biral-Zylindern erhältlich. Von den Serien-Zylindern unterschieden sie sich durch ihre Bohrung; diese betrug anfangs 85 Millimeter, was den Hubraum auf 2.247 ccm anwachsen ließ. Ab März 1971 standen dann auch Zylinder mit 87,5 Millimetern Bohrung zur Verfügung, die einen Hubraum von 2.380 ccm ergaben. Diese Variante war nur in Verbindung mit der mechanischen Einspritzung freigegeben. Das Werk dokumentierte für den 2.247 ccm großen Motor bei 7.800/min 230 PS und für die 2.380 ccm große Variante bei identischer Drehzahl 250 PS. Bei beiden Aggregaten reichte die serienmäßige Kurbelwelle einschließlich ihrer Lagerung aus. Zusammen mit der 2,2-Liter-Serienmaschine war auch die Zeit für einen Getriebewechsel gekommen. Ein Druckgussgehäuse aus Magnesium löste den bisherigen Getriebetyp 901/902 ab. In dieser Hinsicht war eine Parallelentwicklung zu beobachten, der Werkstoff Magnesium setzte sich – wie bereits erwähnt – bei den Gehäusehälften des Motors genauso durch. Trotzdem verkraftete die neue Fünfgang-Schaltung mehr Drehmoment. Das war auch dringend erforderlich, denn 200 Newtonmeter entwickelte jedes 1970 gebaute Sportaggregat. Der ST 2,2 wartete mit 203 Newtonmetern bei 5.200/min auf, der ST 2,3 mit 230 Newtonmetern bei 6.300/min. Bei gleicher Drehzahl legte der 911 S 2,5 mit 285 Newtonmetern – und 270 PS – einen weiteren Bestwert vor. Die Basis für den Carrera RS 2,7 sowie den Dauersieger RSR mit 2,8 und ab 1974 mit drei Litern Hubraum war geschaffen. Diese Erfolgsmodelle erfuhren gleich mehrere Renaissancen, die erste in den auslaufenden achtziger Jahren. Damals entstanden um die ONS-Wagenpässe verloren geglaubter Unfall- oder Exportwagen herum diverse Replikate. Daraus resultierte ein reger Handel und Wandel, der die im Werk tatsächlich aufgelegte Zahl der Originalfahrzeuge potenzierte.
Kenner der Materie leiteten daraus eine Strategie ab. Nicht in die RS- oder RSR-Liga wollten sie einsteigen, sondern einen der selteneren 911 ST 2,2 oder 2,5 ihr eigen nennen. Das freilich war der Nährboden für einen zusätzlichen Geschäftszweig, der von den Burlesken der RSR-Massenfertigung verschont blieb. Die Klientel blieb exklusiv und von seriösen Protagonisten wie dem Coburger Industriellen Michael Stoschek geprägt. Der ließ tatsächlich einen im Oktober 1971 gebauten Ex-Werkswagen für den historischen Motorsport herrichten, der bei der Rallye Monte Carlo 1972 unter Gérard Larrousse den zweiten Platz erzielte. Weltklasse-Restaurateure wie Karl-Heinz Feustel aus dem Oberbergischen Kreis ließen solch historische Substanz wiederaufleben – sicher für einen illustren Kundenkreis, aber eben sach- und fachgerecht. Solche Beispiele faszinierten zwei Bochumer, die sich in englischsprachigen Magazinen mit der Thematik vertraut machten. Im Leben nehmen sie durchaus unterschiedliche Plätze ein – der eine auf unternehmerischer Seite, der andere als Inhaber eines Kfz-Handwerksbetriebes. Doch sie ergänzten einander, beschafften sich das Gruppe-4-Reglement von 1970 und schworen sich auf kein einfaches Vorhaben ein: "So einen 911 ST 2,3 – den bauen wir genauso auf, wie es die FIA-Regularien vor 40 Jahren erlaubten!" Voller Stolz verweisen sie auf Ausschreibungsunterlagen des Porsche-Sportpokals 1970, die sogar Original-Unterschriften zieren. Für Jörg, den Techniker und Pragmatiker, ein wichtiger Leitfaden: "Da stand Schwarz auf Weiß, was wir machen durften." Dem Reglement entsprechend, bauten sie einen 1970 in die USA ausgeführten 911 T "periodenspezifisch" auf. Das heißt: Sie nahmen gebotene Freiheiten in Anspruch, sofern erforderlich. Für Türen und Motorhaube aus Aluminium galt das nicht. Die zur Zeit des Aufbaus – ab 2007 – am Markt üblichen Preise verfehlten ihre abschreckende Wirkung nicht.
Für kein Geld der Welt zu bekommen: eine Schottwand zum Motorraum. Die war aber fällig, weil der deutsche Vorbesitzer beim Reimport des Basisfahrzeugs aus Kalifornien ein Detail übersah. Jörg, gelernter Maschinenbauer, rekapituliert: "Die Heckscheibendichtung schrumpfte mit der Zeit ein. So konnte Feuchtigkeit eindringen und über die Hutablage einsickern. Dort fing es irgendwann an zu knistern. Die Schottwand war nicht mehr zu retten." Weil an eine rostfreie zu realistischen Konditionen nicht heranzukommen war, half Jörg sich selbst. Eine Woche lang hämmerte und kantete er sich eine Blechtafel so lange zurecht, bis sie eingeschweißt werden konnte. "Ach watt", beugt er Mitleitsbekundungen im schönsten Ruhrpott-Dialekt vor, "datt war doch gar nich mal so'n Akt!" An diesem Stadium angelangt, war eine andere Hürde bereits genommen: das fachgerechte Abbeizen des Gehäuses im Tauchbad. Nun wissen Profis, dass Reste der Lauge gerne in den Tiefen der Karosserie zurückbleiben und noch Jahre nach der Restauration zu hässlichen Schäden führen können. In Kenntnis dieser versteckten Falle schnitt Jörg die Heizungsschalldämpfer (!) aus den Seitenschwellern und setzte neue ein. Sein verbaler Einblick in die Trickkiste: "Bevor sie volllaufen konnten, legte ich den Sumpf lieber trocken." Einfallsreichtum war auch bei der Anfertigung der hinteren Kotflügelverbreiterungen aus Stahlblech gefordert. Während vorn komplette Kunststoffteile verbaut werden konnten, war dies hinten unmöglich – es hätte der zeitgenössischen Machart widersprochen. An die in großen Radien beschnittenen Seitenwände laminierte GFK-Pausbacken kamen mit dem RSR auf. Die ST-Generation war zumindest an der Hinterhand noch konservativ ausgeführt. Mangels Original-Anschweißteilen mussten Radläufe eines 930 turbo beschnitten und umgeformt werden – Problem gelöst. Eingespannt in eine drehbare Vorrichtung, konnte die Lackierung in "Grand-Prix-Weiß L908" erfolgen. Und warum nicht in "Blutorange 2323", der ursprünglichen Farbe bei Werksauslieferung?
Diese Frage bleibt ungeklärt. Möglicher Erklärungsansatz: Weiß ist als klassische Porsche-Rennfarbe akzeptiert und somit ein Baustein des "periodenspezifischen" Gesamtpakets. Auftritte im historischen Motorsport sind entgegen der ursprünglichen Planung nicht vorgesehen. Das Auto ist wohl etwas zu schön geraten – ein häufig beobachtetes Phänomen in der Oldtimer-Szene. Das verstiftete Magnesium-Motorgehäuse wäre den Belastungen des Wettbewerbs durchaus gewachsen, spezielle Kolben von Helmut Wahl (Fellbach) und Carillo-Pleuel sicherlich auch. 85 Millimeter beträgt der Kolbendurchmesser, was 2.247 ccm Hubraum ergibt. Von 230 PS wäre auszugehen, soviel wie beim Monte-Carlo-Sieg 1970. Das haben wir Schwarz auf Weiß – und Sie jetzt auch!
Von: Carsten Krome
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